Der verstärkte Fokus der Anleger auf ESG-Kennzahlen führt zu einem Wettlauf um die Spitzenpositionen, da die Unternehmen ihr ESG-Profil aufwerten möchten.
Stehen ESG-Anlagen (Umwelt, Soziales und Governance) kurz vor einer Blase? Manche Anleger stellen sich diese Frage. Sie beobachten die steigenden Aktien im Bereich der sauberen Energie und die spürbare Begeisterung der Anleger für Elektroautos und fragen sich, ob ESG-Anlagen eine vorübergehende Erscheinung sind.
Das glauben wir nicht.
Diese Sorge spiegelt die Verwirrung wider – die Verwechselung zweier unterschiedlicher Strategien, nämlich ESG-Anlagen und Investitionen in Nachhaltigkeitsthemen. Wir möchten die Terminologie erklären und darlegen, warum ESG-Anlagen aus unserer Sicht keine Blase verursachen könnten.
Die Unterschiede sind bedeutsam. ESG-Anlagen stehen für die dauerhafte Aneignung einer neuen Anlagemethode, die Unternehmen stärken und die Portfoliorenditen steigern kann, indem sie wesentliche Kriterien im Bereich Umwelt, Soziales und Governance (E, S und G) berücksichtigt. Im Gegensatz dazu werden aufstrebende Unternehmen, die sich Nachhaltigkeitstrends widmen, häufig mit der Marktstimmung steigen oder fallen – sowohl durch Phasen mit rasantem Wachstum als auch durch die Korrektur überhöhter Bewertungen.
Zunächst einige einfache Definitionen.
- ESG-Anlagen sind das Ergebnis einer Anlagestrategie, die ökologische, soziale und lenkungspolitische Faktoren in die Due Diligence und Finanzanalyse der Anlageverwalter einbindet. Unternehmen mit Fokus auf Umwelt (CO2-Bilanz, erneuerbare Energien), Soziales (Datenschutz und Datenbelange, Investitionen in die Gemeinschaft) und Governance (Vorstandsvielfalt, Geschäftsethik) weisen in der Regel eine bessere und stabilere langfristige Entwicklung auf.
- Investitionen in Nachhaltigkeitsthemen beinhalten Beteiligungen an Unternehmen, Technologien und Projekten, die auf bestimmte Nachhaltigkeitsthemen ausgerichtet sind und ein rasches, beständiges Wachstum verzeichnen dürften. Beispiele: erneuerbare Energien, Elektrofahrzeuge sowie die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) von Treibhausgasemissionen.
So erkennen Sie eine Investitionsblase
Eine Blase zu definieren – und zu erkennen – ist nie einfach, aber im Allgemeinen geht sie mit folgenden Mustern einher:
- Thematisierung von Chancen und hohen Wachstumsraten, die die Menschen davon überzeugt, dass sie „jetzt einsteigen“ müssen
- Günstige finanzielle Bedingungen, oft begleitet von staatlicher Unterstützung
- Ein sichtbares, schnelles Wachstum
Während sich die Blasen ausdehnen, wächst der Enthusiasmus und die Anleger strömen herbei. Schließlich deuten schlechtere Fundamentaldaten und steigende Bewertungen darauf hin, dass die Blase bald platzen könnte. Wenn es dazu kommt, verwerfen die Anleger – die sich vielfach zum Verkauf gezwungen sehen – das Narrativ, das zur Bildung der Blase beigetragen hat. 1
Bei einigen Nachhaltigkeitsthemen gab es in letzter Zeit erste Warnsignale einer Blase. Ein Beispiel sind saubere Energieaktien, gemessen am S&P Global Clean Energy Index2 – nach einem Anstieg von 181 % zwischen Anfang 2020 und dem 8. Januar 2021 gab das Segment um 37 % nach, bevor es sich auf einem Niveau einpendelte, das immer noch 90 % über dem Stand von Januar 2020 liegt. 3
Wir gehen davon aus, dass sich dieses Muster wahrscheinlich bei einer Reihe von Nachhaltigkeitsthemen wiederholen wird. Phasen des Überschwangs und Rückzugs der Anleger werden im Laufe des Jahrzehnts kommen und gehen, auch wenn sich Nachhaltigkeitsthemen in der Weltwirtschaft immer stärker durchsetzen.
Ein Perspektivwechsel
Das ist im Wesentlichen der Grund, warum ESG-Anlagen aus unserer Sicht keine Blase verursachen können. Was sich verändert hat, ist die Sichtweise der Unternehmen und Anleger auf ESG-Faktoren – sei es in Bezug auf die Verbraucherstimmung, den geschäftlichen Wettbewerb oder die staatliche Regulierung – und der Stellenwert, den sie ihnen im Vergleich zu anderen Anlageaspekten beimessen.
Die Investoren konzentrieren sich auf wesentliche ESG-Kriterien (z. B. Vielfalt, Energieeffizienz, finanzielle Offenlegung und Transparenz) – Themen, die erhebliche positive oder negative Auswirkungen auf die Finanzergebnisse eines Unternehmens haben können. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie hier in unserem Artikel „Wie intelligente ESG-Anlagen die Portfoliorenditen steigern könnten“.
Die Unternehmen konzentrieren sich ebenfalls auf wesentliche ESG-Aspekte. In der Tat möchten viele Unternehmen mehr tun, um ESG-Überlegungen in ihre Geschäftsstrategien einzubinden – sowohl um ihre Gewinne zu steigern als auch um ihr aktuelles ESG-Profil bei den Investoren aufzuwerten (und dadurch letztlich mehr Kapital anzuziehen).
Mittlerweile sind die Unternehmen besser damit vertraut, wie die Anbieter von ESG-Ratings ihre Geschäftspraktiken analysieren und bewerten (z. B. die Intensität der CO2-Emissionen oder die Qualität der Unternehmensführung). Darüber hinaus konzentrieren sich die Vermögensverwalter zunehmend auf die Anlagemöglichkeiten, die diese höher bewerteten ESG-Unternehmen bieten.
Wir sehen durchaus ein gewisses Risiko des „Greenwashing“, d. h. die Unternehmen erschaffen gezielt die Illusion einer positiven ESG-Entwicklung (die jedoch nicht der Realität entspricht). Im Großen und Ganzen beobachten wir allerdings einen positiven Kreislauf steigender Aktionärserwartungen, die bei den Unternehmen mit den höchsten ESG-Ratings einen Wettlauf an die Spitze forcieren. Diese Unternehmen ernten dann die Früchte ihrer Anstrengungen – wie zum Beispiel eine bessere Aktienkursentwicklung im Vergleich zur Konkurrenz.
Eine leichte Steigerung der risikobereinigten Renditen
Wenn sich die Anleger auf wesentliche ESG-Themen (wie oben definiert) konzentrieren, können sie bessere Ergebnisse erzielen. Untersuchungen zeigen zudem, dass die Berücksichtigung von ESG-Faktoren offenbar eine leichte Steigerung der Renditen und der risikobereinigten Wertentwicklung bewirkt.
Historische Rendite und Standardabweichung bei Aktien
ESG-Anlagen sind gewissermaßen eine Erweiterung des Qualitätsfaktors bei Aktieninvestitionen – also die Tendenz, dass qualitativ hochwertige Aktien mit in der Regel stabileren Erträgen, solideren Bilanzen und höheren Margen besser abschneiden als Aktien von geringerer Qualität.
Angesichts der zunehmenden Belege für die Effektivität von ESG-Anlagen werden Vermögensverwalter, die ESG-Themen ignorieren, möglicherweise immer weniger in der Lage sein, Vermögenswerte anzuziehen und zu halten. Schon jetzt lautet der Tenor: „In ein paar Jahren wird es keine ESG-Investitionen mehr geben, sondern nur noch Investitionen.“ Dem stimmen wir zu. Tatsächlich unterschätzt die Diskussion über eine Blase bei ESG-Anlagen den Einfluss, den diese Themen inzwischen auf die Finanzbranche ausüben. Wir halten den Sinneswandel der Unternehmen und Investoren im Hinblick auf ESG-Anlagen für unumkehrbar.
Investitionen in Nachhaltigkeitsthemen können vorübergehend zu einer Blase werden, aber bei ESG-Anlagen sieht das anders aus. Während beispielsweise viel Kapital in eine relativ kleine Anzahl von Windenergieaktien fließen kann, was zu hohen (und möglicherweise vorübergehenden) Bewertungen führt, streben ESG-Anlagen einen diversifizierten Kapitaleinsatz an. Dabei wird ein breiteres Spektrum von Kriterien berücksichtigt, um fundiertere Anlageentscheidungen zu treffen.
Abschließende Überlegungen
Es ist nicht verwunderlich, dass zwei recht unterschiedliche Bereiche wie ESG-Anlagen und Nachhaltigkeitsthemen vielfach miteinander in Verbindung gebracht werden. Immerhin weisen sie zahlreiche Überschneidungen auf. Trotzdem gibt es signifikante Unterschiede. Nachhaltigkeitsthemen können zwar Renditen über dem Marktniveau erzielen und lenken das Kapital der Anleger gleichzeitig in die wichtigsten Wirkungsbereiche; sie können jedoch vorübergehend zu einer Marktblase führen. ESG-Anlagen hingegen stellen eine veränderte Anlagemethodik dar, die weit über jede potenzielle Marktblase hinausgeht.
Ihr Team bei J.P. Morgan kann Ihnen dabei helfen, die Unterschiede zwischen Nachhaltigkeitsthemen und ESG-Anlagen besser zu verstehen. Wir unterstützen Sie bei der Beurteilung Ihrer Risikotoleranz und arbeiten mit Ihnen gemeinsam an der Realisierung Ihrer finanziellen Ziele.
1 Charles P. Kindleberger, Manias, Panics and Crashes: A history of financial crises, Macmillan, 1978.
2 S&P Global Clean Energy Index is an index of companies from around the world that are involved in some aspect of clean energy. Companies in the index include those involved in the production of clean energy sources and innovators in clean energy technology. Past performance is no guarantee of future results. It is not possible to invest directly in an index.
3 Bloomberg Finance L.P., as of August 6, 2021.