CIO Richard Madigan bewertet die aktuelle Lage der Wirtschaft und der Märkte – und erläutert, wie wir die Portfolios jetzt positionieren.
Marktperspektiven: ein Hoffnungsschimmer
- Die Zentralbanken bekräftigen weiterhin ihr Engagement zur Eindämmung der Inflation. Eine taubenhafte Rhetorik können sie sich nicht leisten; schließlich wollen sie keinen Melt-up an den Märkten auslösen. Ihren Auftrag zu erfüllen, wird immer schwieriger.
- Die Märkte spiegeln eine weiche Landung wider, eine harte Landung ist nicht eingepreist. Letztere ist zwar nicht unser Basisszenario, aber ihre Wahrscheinlichkeit ist auch nicht gleich null. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um den Märkten nachzujagen.
- Die Investoren blicken bereits über höhere Leitzinsen hinaus. Wir stehen kurz davor, dass sich die Zentralbanken auf eine Zinspause vorbereiten. Die quantitative Straffung ist noch nicht abgeschlossen.
- Die Währungshüter versuchen, die Nachfrage und damit das Wachstum zu bremsen, um die weiterhin zu hohe Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Das funktioniert.
Ein Hoffnungsschimmer ist das Narrativ, das die Märkte derzeit aufgreifen. Wir sehen weiterhin positive Neuigkeiten sowohl zur Inflation, die nach unten tendiert, als auch zum globalen Wachstum, das sich besser behauptet als befürchtet. Das sind gute Nachrichten für die Anhänger einer weichen Landung und schlechte Nachrichten für die Verfechter des Rezessionsszenarios.
Chinas Abkehr von der Null-Covid-Politik stärkt das Vertrauen. Die Wiedereröffnung des Landes unterstützt das globale Wachstum, das sich weiterhin verlangsamt. Aus wirtschaftlicher Sicht ist dies für Asien ein konstruktiver Faktor. Es ist auch vorteilhaft für die globalen Handelspartner sowie multinationale Unternehmen, die die Nachfrage in der Region bedienen.
Ein wiedererwachtes China erschwert die Arbeit der Zentralbanken. Es steigert die Nachfrage, wobei die Rohstoffmärkte zuerst reagieren. Dadurch könnte die Gesamtinflation länger auf höherem Niveau bleiben, als es den politischen Entscheidungsträgern lieb ist. Die Wiedereröffnung der Lieferketten kann dazu beitragen, diesen reflationären Impuls zu kompensieren, vor allem in Bezug auf die globalen Faktorkosten und den Handel.
Angesichts stabiler Arbeitsmärkte und Löhne wird der Konsum wahrscheinlich vom geringeren Inflationsdruck und der Rückkehr der Sparquoten zum Trendniveau profitieren (Abbildung 1). Während die überschüssigen Ersparnisse aus der Pandemie derzeit ausgegeben werden, befinden sie sich auf einem Niveau, das weiterhin für ein verlangsamtes, aber nicht einbrechendes Konjunkturumfeld spricht.
Die globale Inflation hat wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht
„I want to take you higher“ ist die Hintergrundmusik für die Zentralbanken, während sie die Zinsen weiter anheben. Ihre Herausforderung besteht immer noch darin, die nächsten Schritte zu signalisieren. Sowohl die US-Notenbank (Fed) als auch die Europäische Zentralbank (EZB) bekräftigen ihr Engagement zur Eindämmung der Inflation. Sie müssen außerdem anerkennen, dass sich die Inflation in die richtige Richtung bewegt, ohne taubenhaft zu klingen. Schließlich wollen sie keinen Melt-up an den Märkten auslösen.
Der US-Ökonom Larry Summers betonte in einem Interview im Januar, dass die Währungshüter maximale Flexibilität bewahren müssen. Er wählte die besonders eindrückliche Formulierung, dass die Zentralbanken „durch eine sehr, sehr neblige Nacht fahren“. Dem kann ich nur zustimmen; sie tun es noch.
Ich nehme sowohl die Fed als auch die EZB weiterhin beim Wort. Bis zum Ende des zweiten Quartals erwarte ich einen endgültigen US-Leitzins von etwa 5–5,25 %. Bei der EZB rechne ich mit 3–3,25 % (Abbildung 2). Beide Zentralbanken werden sich ihre geldpolitischen Optionen weitestgehend offenhalten. Von nun an wird es immer schwieriger, ihren Auftrag zu erfüllen. Die Währungshüter werden bald eine Zinspause einlegen. Das bedeutet nicht, dass sie die Zinsen nicht weiter anheben werden.
Die Zentralbanken der großen Industrieländer setzen ihre Zinserhöhungen fort
Bemerkenswert war, dass die Renditen zehnjähriger und dreimonatiger US-Staatsanleihen im vergangenen Oktober eine negative Differenz aufwiesen. Ich behalte diesen Teil der Anleihenkurve genau im Auge, da er zunehmende Rezessionssorgen des Marktes signalisiert. Die Fed tut dies ebenfalls.
Die Inversion der Zinsstrukturkurve hat sich seitdem nur noch vertieft. Die Kaffeesatzleserei dieser Inversion bewirkt derweil eine deutliche Lagerbildung. Die Investoren sind sich weiterhin uneins, ob es sich um gute oder schlechte Nachrichten handelt. Dieses Tauziehen wird wahrscheinlich weitergehen.
Für Optimisten deutet die Inversion der Anleihenkurve darauf hin, dass der Fed eine geschickte Gratwanderung gelingt: die Leitzinsen zu straffen und gleichzeitig eine harte Landung zu vermeiden. Ich teile diese Ansicht als Basisszenario. Unsere neutrale Aktienallokation beruht darauf. Es erklärt auch, warum wir Positionen in Hochzins- und Investment-Grade-Anleihen halten.
Wenn sich die Kurve für US-Staatsanleihen weiter umkehrt, werden die Märkte wahrscheinlich davon ausgehen, dass die Fed eine harte Landung der Wirtschaft herbeiführt. Auch wenn die Differenz zwischen den zehnjährigen und dreimonatigen Zinssätzen der beste Indikator für eine Rezession sein kann, hat sie in der Vergangenheit nur sehr wenig darüber ausgesagt, wie schnell es zu einer Rezession kommt oder wie schwer diese sein wird.
Im Durchschnitt (eine wichtige Relativierung) folgt eine Rezession in der Regel etwa ein Jahr später, sobald sich die Zinsstrukturkurve umkehrt. Das Ausmaß der Inversion lässt darauf schließen, wie besorgt die Investoren über die wirtschaftlichen Aussichten sind. Es ist ein guter Stimmungsindikator, sagt aber weder die Schwere einer Rezession voraus, noch ist es so bedeutsam wie die Umkehrung selbst.
Ein Kommunikationsproblem. „Was wir hier haben, ist ein Kommunikationsproblem.“ Dieses Zitat stammt aus dem Film „Der Unbeugsame“. Es wird von der Figur des Captain gesagt, nachdem der Häftling Luke eine Tracht Prügel erhält. Ich musste daran denken, während ich beobachte, wie die Investoren gegen die Fed und die EZB ankämpfen, die bei ihrem Straffungskurs „All-In“ gehen. Die entscheidende Frage lautet: Ist der Markt nun Luke oder der Captain?
„Kämpfe nicht gegen die Fed an“ ist eine Binsenweisheit an der Wall Street. Die Realität sieht jedoch so aus, dass der Markt einer raffinierten Zentralbank die Schwerstarbeit abnehmen soll, vor allem, wenn es um Zinserhöhungen geht. Die Investoren wollen davon nichts wissen und halten dagegen.
Die Märkte möchten das letzte Jahr hinter sich lassen und schnell wieder zu einem normaleren Umfeld übergehen. Die „Schnäppchenjagd“ war leicht und machte Spaß, zumal das billige Geld als Grundlage für die Risikobereitschaft diente. Jetzt ist die Zeit des billigen Geldes vorbei. Die Kapitalkosten steigen, und meiner Meinung nach spiegeln die Risikoprämien nicht die bevorstehenden Herausforderungen wider.
Es sei denn, man geht davon aus, dass sich die Fed auf eine Zinspause vorbereitet und dieses Jahr die Zinsen senken wird. Die Investoren hoffen darauf, dass die Fed ihre Zinsstraffung – wenn sie in den kommenden Monaten einen Leitzins von über 5 % erreicht – für überzogen hält. Das mag sein, aber der robuste Arbeitsmarkt und die Lehren aus den 1970er Jahren geben ihr den Anstoß zu weiteren Zinserhöhungen. Danach bleiben die Leitzinsen dann länger auf höherem Niveau. Hoffnung ist nie eine gute Anlagestrategie.
Die Bewertungen aller Risikoanlagen spiegeln eine weiche Landung wider. Eine harte Landung ist in den aktuellen Marktpreisen nicht berücksichtigt. Letztere ist zwar nicht unser Basisszenario, aber ihre Wahrscheinlichkeit ist auch nicht gleich null. Daher möchten wir keine überhöhten Risiken eingehen. Die Märkte haben sich rasend schnell entwickelt, wir brauchen eine Verschnaufpause.
Letztendlich ist ein Markt so viel wert, wie jemand bereit ist, dafür zu zahlen. Da einige der schlimmsten Befürchtungen zu Jahresbeginn anscheinend nachlassen, besteht bei den Investoren eine große Risikobereitschaft. Ich führe dies auf die menschliche Natur zurück. Gier mag gut sein, aber sie kann sich als kurzlebig erweisen.
Ich durchschaue dich. „I’m looking through you“ von den Beatles ist der aktuelle Titelsong des Marktes. Wenn eine Überraschung bevorsteht, könnte es sein, dass die aktuellen Zyklen der Inflation, Zinsstraffung und Neubewertung von Risikoanlagen länger dauern als gedacht und die Weltwirtschaft nicht daran zerbricht. In diese Richtung scheint es zu gehen.
Die Märkte werden durch die risikobereite Stimmung neu belebt und blicken schon über höhere Leitzinsen hinaus. Die Grundansicht lautet, dass das Ende der Zinserhöhungen näher gerückt ist. Die Entspannung bei den Engpässen in der Lieferkette, ein kontinuierlicher Rückgang sowohl der Gesamt- als auch der Kerninflation und eine Verlangsamung des Immobilienmarkts, der Einzelhandelsumsätze und der Produktion tragen zu der guten Stimmung bei.
Es ist interessant zu beobachten, welche Druck- und Sogfaktoren auf die Stimmung einwirken. Was ein früheres Einlenken der Zentralbanken betrifft, waren schlechte Nachrichten zuerst gute Nachrichten und dann wieder schlechte Nachrichten. Die Inflation lässt weiter nach. Das sollte sich nur noch beschleunigen, wenn sich die Verzögerung bei Mieten und Wohnimmobilien direkter auf das Tempo der Disinflation niederschlägt. Das sind gute Nachrichten.
Die schlechten Nachrichten? Die Investoren reagieren zu Recht vorsichtig auf das sinkende Wachstum. Im derzeitigen Umfeld kann es keine Disinflation ohne Wachstumseinbußen sowie schwächere Löhne und Arbeitsmärkte geben. Die Zentralbanken versuchen, die Nachfrage und damit das Wachstum zu bremsen, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Das funktioniert. Hoffentlich erweist sich dies nicht als vorübergehende Disinflation. Die Märkte haben letztes Jahr genug unter der vorübergehenden Inflation gelitten.
Ein langsameres Wirtschaftswachstum führt zu einem langsameren Umsatzwachstum. Die US-Margen liegen nach wie vor über den langfristigen Trends (Abbildung 3). Ich gehe davon aus, dass die Margen zum Mittelwert zurückkehren und nach unten tendieren werden. Die Entlassungen dürften sich fortsetzen. Insgesamt waren sie noch nicht beunruhigend. Als Schlagzeilen sorgen sie indes für schlechte Nachrichten.
Die Margen von US-Unternehmen bleiben hoch
Kurs halten. Ich würde die jüngste Berichtssaison als gut genug bezeichnen, um die Aktienmärkte weiterhin zu stützen. Allerdings entfernen sich die Bewertungen in den USA zunehmend von etwaigen Rezessionssorgen. Die US-Aktienmärkte mögen weit unter dem Höchststand liegen, aber sie sind nicht billig.
Wir haben die Allokation in europäischen Aktien aufgestockt, finanziert durch US-Positionen. Ich betrachte diese Umschichtung als defensive Neupositionierung mit Aufwärtspotenzial. Europa ist sowohl nach eigenen historischen Maßstäben als auch im Vergleich zu den USA attraktiv bewertet. In einem breiten Marktrückgang erwarte ich, dass das niedrigere Bewertungsniveau in Europa im Vergleich zu den USA zu einer geringeren Partizipation an der Abwärtsbewegung führen wird. Sollte die Weltwirtschaft weiterhin positiv überraschen, bietet Europa die Chance auf eine weitere Neubewertung.
Das europäische Umsatz- und Gewinnwachstum übertrifft das der US-Unternehmen. Zu den Sektoren in Europa, die für uns im Fokus stehen, zählen zyklische Konsumgüter, insbesondere Luxusgüter, wo der Konsens das Gewinnwachstum dank der Wiedereröffnung in China wohl immer noch unterschätzt. Darüber hinaus bevorzugen wir nichtzyklische Konsumgüter mit Schwerpunkt auf Getränken. Auch europäische Banken überraschen weiterhin positiv.
Wir behalten in den Portfolios eine Übergewichtung von erweiterten Krediten und Investment-Grade-Anleihen bei, einschließlich europäischer Unternehmen. Wir haben Anleihen mit längeren Laufzeiten im vergangenen Jahr aufgestockt, als die Zinsen immer mehr zulegten. Zurzeit ist unsere Duration neutral. Aufgrund der höheren Renditen können Anleihen wieder zur Diversifizierung des Portfoliorisikos dienen. Durch die höheren Zinssätze bieten sie auch einen zusätzlichen Carry.
Ich möchte sicherstellen, dass wir mit unseren Portfolios im Spiel bleiben können, wenn die Märkte weiter nach oben tendieren. Sollte es zu einem Ausverkauf kommen, werden wir rasch umschwenken und in den Bereichen eingreifen, die am stärksten betroffen sind. In Bezug auf unser Gesamtrisiko bleiben wir auf Kurs. Zweifellos werden sich neue Gelegenheiten ergeben, das tun sie immer. Meistens kommen sie, wenn man es am wenigsten erwartet.
INDEXDEFINITIONEN
Der S&P 500® gilt weithin als der beste Einzelindikator für Large-Cap-Aktien in den USA. Der Index umfasst 500 führende Unternehmen und deckt ungefähr 80 % der verfügbaren Marktkapitalisierung ab.
Der MSCI Europe Index umfasst Unternehmen mit hoher und mittlerer Marktkapitalisierung aus 15 Industrieländern in Europa. Mit 426 Bestandteilen (Stand: Dezember 2022) deckt der Index etwa 85 % der um den Streubesitz bereinigten Marktkapitalisierung im Aktienuniversum der europäischen Industrieländer ab.
Der MSCI Japan Index soll die Wertentwicklung der Large- und Mid-Cap-Segmente des japanischen Marktes abbilden. Mit 237 Bestandteilen (Stand: Dezember 2022) deckt der Index rund 85 % der um den Streubesitz bereinigten Marktkapitalisierung in Japan ab.
Indizes sind keine Anlageprodukte und kommen nicht für eine Investition in Betracht.