Für Investoren mit klarem Blick auf Gegenwart und Zukunft könnten sich vielversprechende Bereiche eröffnen.
David Stubbs, Global Head of Cross-Asset Thematic Strategy, J.P. Morgan Private Bank
Ian Schaeffer, Global Market Strategist
Patricia Behling, Equity Strategist
Die Botschaft der weltweiten Staats- und Regierungschefs auf der 26. Weltklimakonferenz in Glasgow im November letzten Jahres war eindeutig: Wir müssen jetzt – und schnell – handeln, um künftige Katastrophen durch den Klimawandel zu vermeiden.
Werden wir? Das ist die Frage, die US-Präsident Joe Biden seinen Kollegen auf der Konferenz stellte: „Werden wir die enorme Chance ergreifen, die sich uns bietet? Oder werden wir künftige Generationen zum Leiden verurteilen?“
Im Vorfeld der Konferenz wurden einige ernsthafte Zusagen gemacht. Die USA, die EU und Japan haben sich nun zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet. China will dieses Ziel bis 2060 erreichen.
Die Konferenz hat erhebliche Fortschritte gebracht. Die Abschlusserklärung formulierte die Vision einer Welt, die den Kohleverbrauch radikal reduziert, Subventionen für fossile Brennstoffe abschafft und die Regierungen zu den ehrgeizigsten Zielen des Pariser Abkommens verpflichtet. Kurz gesagt: Sie erzeugt einen noch stärkeren Rückenwind für die saubere Energiewende.
Derweil reagieren Unternehmen auf der ganzen Welt mit eigenen Emissionszielen. Mehr als 65 % der Unternehmen im S&P 500, die über 80 % der Marktkapitalisierung ausmachen, haben ein Emissionsziel angekündigt.1
Um die versprochenen Ziele aber tatsächlich zu erreichen, muss sich der Energieverbrauch der Menschheit grundlegend verändern. Im Folgenden werfen wir einen kurzen Blick darauf, wo die Welt beim Übergang zu sauberer Energie derzeit steht. Außerdem konzentrieren wir uns auf zwei Schlüsselbereiche, die Investoren voraussichtlich echte Chancen bieten werden: Halbleiter und grüne Gebäude.2
Update: Wo wir beim Übergang zu sauberer Energie stehen
Der wissenschaftliche Konsens besagt, dass – um die globale Erwärmung auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen – die Welt bis 2050 eine klimaneutrale Kohlenstoffbilanz erreichen sollte (Netto-Null-Emissionen). Dazu müssen fast 90 % der globalen Stromerzeugung im Jahr 2050 aus erneuerbaren Quellen stammen. Um dieses Ziel realisieren zu können, müssen die Wind- und Solarkapazitäten allein in den nächsten acht Jahren vervierfacht werden, so die Internationale Energieagentur (IEA).3
Um auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen zu bleiben, muss der weltweite Ausbau erneuerbarer Kapazitäten massiv beschleunigt werden
Weltweite historische Raten der installierten Wind- und Solarkapazität
Die Wirtschaftlichkeit begünstigt inzwischen eine rasche Umstellung. Die Kosten für Wind- und Solartechnologien sind rapide gesunken, sodass sie mittlerweile die preiswerteste Alternative für den schrittweisen Ausbau der Stromerzeugung sind (auch ohne Subventionen).4
Unterdessen drängen viele Regierungen auf eine schnellere Einführung der erneuerbaren Energieerzeugung und investieren erhebliche Summen, um diese Umstellung zu finanzieren. Offenbar haben sie Erfolg: Im Jahr 2021 machten erneuerbare Energien 70 % des Gesamtbetrags von 530 Mrd. USD aus, der weltweit für neue Stromerzeugungskapazitäten ausgegeben wurde.5
Erneuerbare Energieträger dürften in Zukunft die günstigste Option für die Stromerzeugung sein.
Geschätzte Kosten der Stromerzeugung in USD/MWh nach Abschaffung der US-Subventionen für erneuerbare Energien (2023)
Dennoch wird bald mehr nötig sein. Wenn das Ziel von 1,5 °C in Reichweite bleiben soll, müssen die weltweiten jährlichen Investitionen in saubere Energieprojekte und -infrastruktur nach Schätzungen der IEA bis 2030 auf fast 4 Bio. USD ansteigen.6 Ein finanzielles Engagement dieser Größenordnung sollte die Marktchancen für die an der Energiewende beteiligten Unternehmen eindeutig erhöhen. In der Tat wird der globale investierbare Markt für erneuerbare Energien den meisten Schätzungen zufolge in diesem Jahrzehnt voraussichtlich um mindestens 8 % pro Jahr wachsen.7
Zwei Schlüsselbereiche im Ökosystem der sauberen Energie, die wir besonders interessant finden, sind Halbleiter und grüne Gebäude.8
Halbleiter – der Blick aufs große Ganze
Die Halbleiterbranche geriet zuletzt oft in die Schlagzeilen. Lieferengpässe führten zu Produktionsverzögerungen, und mehrere Länder auf der ganzen Welt versprachen die Rückverlagerung der Fertigung. Diese Probleme sind bedeutsam.
Die Rolle, die Halbleiter bei einer erfolgreichen Energiewende spielen werden, wird von den Investoren jedoch unterschätzt. Drei Beispiele zeigen, wie eng Halbleiter mit unserer technologischen Zukunft und dem künftigen Energiebedarf verflochten sind:
- Der vielleicht größte Bereich und die größte gegenseitige Abhängigkeit besteht im Hinblick auf künstliche Intelligenz (KI). Halbleiter sind unerlässlich für die Interpretation von Daten, um KI-Systeme zu trainieren und der KI anschließend als Entscheidungshilfe zu dienen, indem sie Rückschlüsse auf die Zukunft zieht. Das Training eines einzigen KI-Modells kann CO2-Emissionen verursachen, die den Emissionen über die gesamte Nutzungsdauer von fünf Autos entsprechen.9
Ohne signifikante Innovationen wird die KI mit einem massiven Anstieg des Energiebedarfs einhergehen. Einige Schätzungen gehen sogar davon aus, dass der Strombedarf für Training und Schlussfolgerungen künstlicher Intelligenz im Jahr 2025 mehr als 10 % der weltweiten Stromversorgung ausmachen wird (was ungefähr dem gesamten derzeitigen Stromverbrauch Europas entspricht). - Nur 30,4 % der Primärenergie sind nach Verlusten durch Transformation und Umwandlung wirklich nutzbar.10 Die Energieeffizienz von Halbleitern wird von großer Bedeutung sein, denn sie werden in absehbarer Zukunft das Hauptelement der meisten elektronischen Systeme darstellen und sowohl im Verbraucher- als auch im industriellen Bereich in Kommunikations-, Signalverarbeitungs-, Computer- und Steuerungsanwendungen zum Einsatz kommen.
Ohne Innovationen bei Halbleitern wird der Primärenergiebedarf der wachsenden Weltbevölkerung die Kapazitäten des Planeten bei weitem übersteigen. - Der Bedarf an Halbleitern wird exponentiell zunehmen, da intelligente und elektrisch betriebene Fahrzeuge einen immer größeren Anteil an der weltweiten Fahrzeugflotte ausmachen. Schon jetzt entfallen 40 % der Gesamtkosten eines Autos auf die Elektronik, gegenüber 18 % im Jahr 2000. Das ist erst der Anfang.
Mit zunehmender Verbreitung autonomer Fahrfunktionen muss die Nachfrage nach Halbleitern steigen, um alle erforderlichen Kameras, Radarsensoren, LIDAR-Einheiten und Computersysteme mit Strom zu versorgen. Beobachter rechnen allein zwischen 2020 und 2025 mit einer Verdreifachung der Halbleiterumsätze für die Automobilindustrie.11
Auch wenn der Übergang von Verbrennungsmotoren zu Elektrofahrzeugen langsamer verläuft (wie unser Research nahelegt12), dürfte die Halbleiternachfrage aus der Automobilbranche in den kommenden Jahren weiter zunehmen.
Trotz der Abhängigkeit von Halbleitern zum Ausbau der Nachhaltigkeitsinfrastruktur ist der Halbleitersektor einigen Risiken ausgesetzt, da geopolitische Spannungen und neue Gesetze verschiedene Unternehmen in unterschiedlichem Maße betreffen. Für Investoren ist ein aktives Management in diesem Sektor entscheidend.
Grüne Gebäude
Gebäude sind für erstaunliche 38 % der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich (einschließlich Bau und Betrieb von Gebäuden). Tatsächlich sind Gebäude in den meisten großen Metropolen heute die größte einzelne Emissionsquelle.13 Zweifellos wird es kaum möglich sein, die Ziele des Pariser Abkommens von 2015 zu erreichen, ohne dass fast alle großen Gebäude auf der Erde bis 2050 klimaneutral sind.14
Die Umstellung auf umweltfreundliche Gebäude ist für den Immobiliensektor bereits von höchster Wichtigkeit, dank des wachsenden Umweltbewusstseins in der Öffentlichkeit und bei den politischen Entscheidungsträgern. Zudem gibt es viele Möglichkeiten, wie Gewerbe- und Wohngebäude eine höhere Energieeffizienz erzielen können, zum Beispiel:
- Verwendung nachhaltigerer Baumaterialien mit einer größeren Energie-, Wasser- und Ressourceneffizienz
- Installation effizienter HLK-Systeme, hochwertiger Isolierung und energieeffizienter Beleuchtung
- Einbindung intelligenter Geräte und digitaler Infrastrukturen, um enorme Datenmengen erfassen und dadurch die Gebäudeeffizienz verbessern zu können (insbesondere im gewerblichen Bereich)
In den kommenden Jahren könnte sich eine große Verlagerung auf umweltfreundliche Gebäude vollziehen, die Chancen für Investoren schaffen würde. Immobilienunternehmen stellen bereits fest, dass die höheren Vorlaufkosten nachhaltigerer Bauweisen und Materialien zu erheblich geringeren Betriebskosten führen können.15 Bis 2028 könnte es weltweit schätzungsweise mehr als vier Milliarden intelligente Geräte in Gewerbebauten geben.16 Die damit erfassten Daten werden den Immobilienunternehmen voraussichtlich dazu dienen, die Effizienz bestehender Gebäude zu steigern und künftige Bauvorhaben zu verbessern.
Auch die Politik beobachtet diese Entwicklung aufmerksam. Die G7-Staaten haben Finanzhilfen von über 267 Mrd. USD für einen grüneren und gerechteren Wiederaufbau nach der Pandemie bereitgestellt, darunter Anreize von mehr als 51 Mrd. USD, die speziell auf die „Ökologisierung“ von Gebäuden ausgerichtet sind.17
Was diese Trends für Investoren bedeuten…
Die Neugestaltung und Bewahrung unserer Welt ist ein faszinierendes, ja sogar edles Unterfangen. Eine kluge Investition in die „große Energiewende“ setzt eine sorgfältige Prüfung von erneuerbaren Energien, E-Mobilität, umweltfreundlicheren Gebäuden und anderen Schlüsseltechnologien voraus. Es bedeutet auch, die Unternehmen und Fonds zu finden, die diesen Trends ausgesetzt und am besten aufgestellt sind, um vom Rückenwind des technologischen Wandels, der wachsenden politischen Unterstützung und der veränderten gesellschaftlichen Einstellungen zu profitieren.
Ihr Team von J.P. Morgan steht Ihnen gern zur Verfügung, um mögliche Anlagechancen in der großen Energiewende aufzuzeigen, die mit Ihren persönlichen langfristigen Zielen übereinstimmen.
1 Laut Refinitiv, einem amerikanisch-britischen globalen Anbieter von Finanzmarktdaten und -infrastruktur. Morgan Stanley, Refinitiv. (2021).
2 Siehe auch unser jährliches Energiepapier: das 11th Annual Energy Paper von Michael Cembalest, das in diesem Jahr die allgemeine Situation an den globalen Energiemärkten untersuchte.
3 Net Zero by 2050, Internationale Energieagentur (2021).
4 Nextera (2019); EIA (2019). Man sollte jedoch nicht vergessen, dass die realen Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren steigen werden, da sie einen größeren Anteil an der Energieerzeugung ausmachen. Hinzu kommen die inhärenten zusätzlichen Kosten erneuerbarer Energien, weil ihre intermittierende Energieerzeugung kompensiert werden muss: durch massive Batteriespeicherkapazitäten, überschüssige erneuerbare Kapazitäten, um sicherzustellen, dass die Batterien geladen bleiben, oder redundante Grundlastkapazitäten (als Backup, wenn die erneuerbare Erzeugung nachlässt).
5 World Energy Investment 2021, Internationale Energieagentur (2021).
6 World Energy Outlook 2021, Internationale Energieagentur (2021).
7 Renewable Energy Market, Precedence Research (2022).
8 Stand: 2022.
9 “Energy and Policy Considerations for Deep Learning in NLP,” Emma Strubell, Ananya Ganesh, und Andrew McCallum, The 57th Annual Meeting der Association for Computational Linguistics (ACL). Florenz, Italien (Juli 2019).
10 Pictet Asset Management.
11 Bank of America Research, Gartner (2019).
12 11th Annual Energy Paper, Michael Cembalest, J.P. Morgan.
13 “The path to a greener future begins in our cities,” Weltwirtschaftsforum (März 2021). Das Bauwesen verursachte 10 % der weltweiten Emissionen von Kohlendioxid (CO2) im Jahr 2017, wobei die Menge an CO2, die während der typischen täglichen Gebäudenutzung anfiel, weitere 28 % der gesamten CO2-Emissionen ausmachte.
14 „From Thousands to Billions - Coordinated Action towards 100% Net Zero Carbon Buildings by 2050“, World Green Building Council (2017).
15 Bei einem neu errichteten Gebäude kann eine Erhöhung der Baukosten um 20 % zugunsten der Nachhaltigkeit und Effizienz zu einer Senkung der Betriebskosten um 30 % über drei Jahre führen. Dadurch werden die Gesamtbetriebskosten des Gebäudes um 10 % reduziert. „Urban Future With a Purpose“, Deloitte (September 2021).
16 „Hype Cycle for Smart City Technologies and Solutions“, Gartner (2019).
17 BloombergNEF, „Building on Cities to Deliver a Green and Just Recovery“. September 2021.