Zuletzt abrupte Marktbewegungen, die US-Wirtschaft in der Warteschleife und ein holpriger Weg, der vor uns liegt. Unsere Antwort: Wir müssen Risiken noch bewusster eingehen.
Marktperspektiven: Die Zügel straff halten
- Die Geldpolitik orientiert sich derzeit an den Daten. Der Irrglaube, es gebe „keine Landung“ für die Weltwirtschaft, wird von Experten immer noch verkündet. Es wird eine Landung geben. Die Frage ist nur, wann und wie hart.
- Die entscheidende Frage für den Markt lautet heute: „Sind die Krisenherde, die wir im gesamten US-Bankensektor gesehen haben, singulär oder systemisch?“ Ich glaube beides. Die Hauptursache ist die Geschwindigkeit, mit der die Zinsen steigen.
- Es wird viel darüber geschrieben, dass die US-Regierung ihre Schulden nicht mehr bedienen wird. Das sollte nie ein Thema sein. Das Randrisiko ist klein, aber real.
- Angesichts der Volatilität der Märkte gehen wir Risiken sehr bewusst ein. Volatilität kann eine Chance sein. Ungezügelte Volatilität kann das Gegenteil bewirken.
Im andauernden Tauziehen zwischen den Skeptikern, die eine Rezession kommen sehen, und den Optimisten hat sich die Lage etwas entspannt. Entwarnung kann aber noch nicht gegeben werden. Die Makrodaten sind volatil, ebenso die Märkte. Die Investoren wissen nach wie vor zu wenig über das, was vor ihnen liegt. Trends lassen sich in einem veränderlichen Umfeld nur schwer erkennen.
Die Angst, etwas zu verpassen, hat sich wieder etwas in den Marktdiskurs eingeschlichen. Die Ironie besteht darin, dass die liquiden Mittel, die darauf warten, investiert zu werden, eine relative Bodenbildung bewirken können, wenn es zu Korrekturen an den Märkten kommt. Treffen Sie sich mit Ihrer Familie und Ihren Freunden. Fragen Sie, wer darauf wartet, bei einem Ausverkauf an den Aktienmärkten einzusteigen. Fragen Sie dann, auf welchem Niveau? Mein Gefühl ist, dass die meisten sagen werden: 5–10 % niedriger. Es ist immer 5–10 % niedriger.
Seitwärtsphase ist wahrscheinlich die richtige Beschreibung der aktuellen Marktsituation. Der S&P 500 bewegte sich in diesem Jahr größtenteils innerhalb einer bestimmten breiten Spanne. Die zurückgehaltene Liquidität wird möglicherweise verhindern, dass der Tiefstand vom Oktober letzten Jahres erneut ausgelotet wird, es sei denn, etwas geht wirklich schief.
Hilflose Hoffnung. Dogmatisch datengetrieben, so würde ich den aktuellen Ansatz in der US-Geldpolitik charakterisieren. Das oder „Verwirrung hat ihren Preis“. Das ist eine Zeile aus dem Song „Helplessly Hoping“ von Crosby, Stills & Nash. Ein passendes Mantra zur Inflationsbekämpfung.
Die US-Notenbank (Fed) signalisierte, dass sie im Juni eventuell eine Zinspause einlegen wird. Wir werden sehen. Mit zehn aufeinander folgenden Zinserhöhungen um insgesamt 500 Basispunkte (Bp.) in etwas mehr als einem Jahr war das Tempo der Straffung schneller und energischer als alles, was wir seit den 1980er Jahren gesehen haben. Wir befinden uns nun wieder auf dem Leitzinsniveau von 2007.
Neben der verzögerten Wirkung der Geldpolitik belastet auch die Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe die Weltwirtschaft zusätzlich, was einer weiteren Straffung gleichkommt. Wenn ich bei der Fed wäre, würde ich im Juni pausieren. Die Zeit ist auf ihrer Seite. Sie haben viel harte Arbeit geleistet.
Die Inflation verlangsamt sich weiter, ist aber immer noch zu hoch. Die jüngsten US-Wirtschaftsdaten zeigen, dass die Löhne weiterhin hoch sind, aber nicht mehr so stark steigen. Auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist insgesamt weniger angespannt. Die Wirtschaft verlangsamt sich, ist aber in guter Verfassung. All dies spricht für eine weiche Landung. Aber es macht der Fed bewusst, dass ihr Kampf gegen die Inflation noch lange nicht vorbei ist.
Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen im Mai um 25 Bp. angehoben hatte, ließ sie die Tür für weitere Zinserhöhungen weit offen. Wie die Fed hat auch die EZB die Zinsen kräftig angehoben (Abbildung 1). Innerhalb von rund einem Jahr hat sie die Zinsen um insgesamt 375 Bp. nach oben geschraubt. Wir befinden uns wieder auf dem Niveau von 2008.
Abbildung 1: Fed und EZB haben die Leitzinsen aggressiv erhöht
Die EZB hat nur ein Mandat: die Gewährleistung von Preisstabilität. Im Gegensatz dazu verfolgt die Fed sowohl die Preisstabilität als auch die Maximierung der Beschäftigung. Wenn die Fed im Juni eine Zinspause einlegt und die EZB ihre Zinserhöhungen fortsetzt, dürfte der Euro seine jüngste Stärke beibehalten.
Der Irrglaube, es gebe „keine Landung“, wird von Experten immer noch verkündet. Aber als Analogie für die Wirtschaft ist das Kreisen eines Flugzeugs in der Warteschleife wohl besser geeignet. Es wird eine Landung geben. Die Frage ist nur, wann und wie hart.
Singulär oder systemisch? Zu sagen, dass die letzten Monate für die Märkte wie ein Wirbelwind waren, beschreibt die Situation nicht annähernd. Die entscheidende Frage lautet heute: „Sind die Krisenherde, die wir im gesamten US-Bankensektor gesehen haben, singulär oder systemisch?“ Ich glaube beides.
Die Hauptursache – steigende Zinsen – ist systemischer Natur. Die Probleme, die zum Zusammenbruch einiger Banken geführt haben, scheinen dagegen singulärer Natur zu sein. Ich glaube aber nicht, dass die kleineren Erschütterungen des Systems vorbei sind. Dafür spricht das Tempo, mit dem die Zinsen gestiegen sind.
In einem Umfeld höherer Zinsen erkennen die Investoren, dass die Passiva in den Bankbilanzen eine wichtige Rolle spielen. Entscheidend ist, ob die Schlagzeilen und die negative Aktienkursentwicklung zu einem erneuten Abfluss von Einlagen führen werden. In dieser Situation kommen Leerverkäufer ins Spiel.
Wir befinden uns nicht in einer Bankenkrise, auch wenn das Wort „Krise“ in aller Munde ist. Wir befinden uns in einer Phase der berechtigten Besorgnis der Investoren und des Stresses, der vom Bankensektor ausgeht. Was wir sehen, erinnert eher an die Sparkassenkrise in den USA der 1980er Jahre als an die globale Finanzkrise von 2007–2008. Das sind gute und schlechte Nachrichten. Die Sparkassenkrise führte zu einem „langsamen Ausbluten“ der Wirtschaft. Die globale Finanzkrise hat Angst und Schrecken in der Welt verbreitet.
Die bisherigen Maßnahmen der Regulierungsbehörden haben gezeigt, dass sie bereit sind, bei Bedarf mehr zu tun. Das Problem des Moral Hazard, d. h. die Anreize für das Management schlecht geführter Banken, Risiken auf Kosten der Steuerzahler einzugehen, ist ein Thema, mit dem sich die Regulierungsbehörden und Washington befassen müssen.
Eine wilde Fahrt. Zu Beginn des Jahres hätte ich das Risiko einer Rezession in den USA auf etwa ein Drittel geschätzt. Nach den Ereignissen der letzten Monate ist das ein Münzwurf. Sollte es zu weiteren Schocks im Bankensystem kommen, steigt das Risiko einer harten Landung rapide an. Die makroökonomischen Daten deuten derzeit einfach nicht darauf hin. Das kann sich ändern.
Die Weltkonjunktur verlangsamt sich. Als Basisszenario sehe ich einen schmalen Grat zwischen einer weichen Landung und einer leichten Rezession. Die Aussichten sind jedoch getrübt, da die Extremrisiken zugenommen haben. Ich beobachte die Kreditmärkte sehr aufmerksam. Es war holprig, aber bisher gibt es keine Anzeichen für eine harte Landung. Allerdings gibt es Hinweise auf einen moderaten Stress. Kreditmärkte sind zuverlässige Frühwarnindikatoren. Das gilt auch für Banken.
Die Anleihenmärkte sind nach wie vor auf einem wilden Ritt. Risikobehaftete Anlagen bleiben aber gestützt. Big Tech hat in diesem Jahr die Erträge an den US-Aktienmärkten angetrieben. Bei Risikoanlagen sind wir noch weit davon entfernt, Klarheit zu haben. Die Zinsstrukturkurve für US-Staatsanleihen ist so steil invers wie seit über 40 Jahren nicht mehr (Abbildung 2). Dies ist zum Teil technisch bedingt, da einige Marktteilnehmer gezwungen sind, die Short-Positionen ihrer Trendfolgestrategie aufzulösen. Zum anderen sind es fundamentale Gründe, die auf der Aussicht auf eine harte Landung beruhen.
Abbildung 2: Zinskurve für US-Staatsanleihen weiterhin stark invers
Die Wirtschaft verlangsamt sich, ebenso die Inflation. Die Beschäftigungsdaten bleiben robust. Es sieht nicht so aus, als würde die US-Wirtschaft schnell in eine Rezession abrutschen. Das sind gute Nachrichten für den Konsum und das Umsatzwachstum. Auch die Gewinnmargen der Unternehmen haben sich bisher positiv entwickelt und liegen weiterhin über dem historischen Niveau.
Ich gehe davon aus, dass sich die Gewinnmargen im S&P 500 weiter in Richtung ihres langfristigen Trendniveaus von rund 11 % über die letzten zehn Jahre und 10 % über die letzten zwanzig Jahre bewegen werden. Derzeit liegen die Gewinnmargen bei rund 11,5 %. Ihren Höhepunkt erreichten sie im ersten Quartal 2022 mit etwa 13,5 %.
Die Frachtnachfrage ist weiterhin rückläufig, ebenso wie die Aktivitäten in der Lieferkette. Auch die Preise für Rohstoffe, insbesondere für Energie und Nahrungsmittel, geben kontinuierlich nach. Die Zentralbanken bekommen, was sie wollen. Die Frage ist, wie weit die Leitzinsen steigen müssen, bevor dieser Straffungszyklus endet.
Eine neue Schuldenkrise. Viel wird darüber geschrieben, ob die US-Regierung einen Schuldenschnitt beschließen wird. Ich betrachte das oft als Füllmaterial für Schlagzeilen. Die Schuldenobergrenze wird erhöht. Es gibt keine Alternative. Die Frage ist, wie lange diese Entscheidung hinausgezögert werden kann, ohne dass die Märkte einbrechen.
Um Jay Powell zu zitieren: Wir sollten nicht über eine Welt sprechen, in der die USA ihre Rechnungen nicht bezahlen. Allerdings ist „nie“ ein Wort, das ich seit der globalen Finanzkrise von 2007–2008 nicht mehr benutze. Jedes Land muss seine Schuldenlast im Auge behalten. Die Schulden sind weltweit zu hoch, auch in den USA. Nötig ist eine ernsthafte Diskussion, kein politisches Theater.
Wir beobachten die Entwicklung in Washington sehr genau. Das Randrisiko mag gering sein, aber es ist real. Die Credit Default Swaps (CDS) auf US-Staatsanleihen sind bereits auf ein Niveau gestiegen, das wir seit 2011/2012 nicht mehr gesehen haben. Ich beobachte die US-amerikanischen CDS genau, denn sie sollten sich nicht verändern. Tun sie es doch, ist das ein Zeichen für die Besorgnis der Investoren, die sich gegen die zu erwartenden Turbulenzen an den Märkten absichern.
Wenn es hart auf hart kommt und die Märkte wirklich aus den Fugen geraten, werden wir wahrscheinlich US-Staatsanleihen und Risikoanlagen kaufen.
Die Zügel straff halten. Angesichts der abrupten Marktbewegungen gehen wir Risiken weiterhin sehr bewusst ein. Volatilität kann eine Chance sein. Ungezügelte Volatilität kann das Gegenteil bewirken. Die Volatilität, die wir im vergangenen Jahr erlebt haben, hat die Stimmung unter den Investoren stark belastet (Abbildung 3). Es gibt einfach kein Vertrauen in die kurzfristigen Aussichten, und es wird einige Zeit dauern, bis dieses Vertrauen wiederhergestellt ist.
Abbildung 3: Hohe Volatilität an den Märkten im vergangenen Jahr
Zu einem früheren Zeitpunkt in diesem Jahr haben wir die Allokation in europäischen Aktien erhöht, finanziert durch US-Positionen. Ich betrachtete dies als eine defensive Neupositionierung mit Aufwärtspotenzial. Europa ist sowohl im historischen Vergleich als auch im Vergleich zu den USA attraktiv bewertet. Im Falle eines allgemeinen Marktrückgangs erwarte ich, dass das niedrigere Bewertungsniveau in Europa im Vergleich zu den USA zu einer geringeren Partizipation an der Abwärtsbewegung führen wird. Sollte die Weltwirtschaft positiv überraschen, bietet Europa die Chance auf eine weitere Neubewertung. Bis jetzt ist es sehr gut gelaufen, und die Umschichtung hat die diesjährige Performance des Portfolios positiv beeinflusst.
Wir halten an einer moderaten Übergewichtung von Anleihen niedriger Bonität fest. Wir haben diese Positionen seit letztem Jahr reduziert und den Anteil an Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating sowohl in Europa als auch in den USA erhöht. Wir haben das Risiko reduziert und die Kreditqualität verbessert. Auch Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten haben wir im vergangenen Jahr aufgestockt, als die Zinsen weiter stiegen.
Anleihen spielen als Risikodiversifikatoren in den Portfolios eine wichtige Rolle. Angesichts des jüngsten Rückgangs der langfristigen Zinsen haben wir aktiv über unsere Durationspositionierung sowohl in Multi-Asset- als auch in Anleihenportfolios diskutiert.
Vor dem Hintergrund der düsteren Aussichten und der angespannten Lage an den Märkten halten wir an der Duration der Kernanleihen fest. Sollten sich die Spreads ausweiten, werden wir eher Unternehmensanleihen kaufen, insbesondere solche mit Investment-Grade-Rating. Derzeit sind sowohl europäische als auch US-amerikanische Unternehmensanleihen mit Investment Grade nicht attraktiv genug, um ein größeres Engagement einzugehen. Sie stehen aber auf der Kaufliste.
Ein holpriger Weg liegt vor uns. Es ist nicht unsere Aufgabe, große Marktwetten einzugehen. Angesichts des Lärms, der das makroökonomische Umfeld und die Märkte überschattet, halten wir es nach wie vor für richtig, die Zügel straff zu halten und Risiken nur bewusst einzugehen.
INDEXDEFINITIONEN
Der S&P 500® gilt weithin als der beste Einzelindikator für Large-Cap-Aktien in den USA. Der Index umfasst 500 führende Unternehmen und deckt ungefähr 80 % der verfügbaren Marktkapitalisierung ab.
Der VIX ist ein Index, der die erwartete konstante Volatilität des US-Aktienmarktes über einen Zeitraum von 30 Tagen misst. Er wird aus Echtzeit-Durchschnittsnotierungen von Kauf- und Verkaufsoptionen auf den S&P 500® Index abgeleitet. Er ist einer der weltweit anerkanntesten Volatilitätsmaßstäbe, über den in den Finanzmedien ausführlich berichtet wird und der von vielen Marktteilnehmern als täglicher Marktindikator genau verfolgt wird.
Der ICE BofA MOVE ist ein zinskurvengewichteter Index der normalisierten impliziten Volatilität von einmonatigen Optionen auf Staatsanleihen. Es handelt sich um den gewichteten Durchschnitt der Volatilitäten für CT2, CT5, CT10 und CT30 (gewichteter Durchschnitt der impliziten Volatilitäten für Staatsanleihen mit 1M2J, 1M5J, 1M10J und 1M30J bei Gewichtungen von 20 %, 20 %, 40 % bzw. 20 %).