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Seit Beginn des Handelskriegs zwischen den USA und China im Jahr 2018 und insbesondere während der COVID-Pandemie haben Anleger ihre Besorgnis über die Deglobalisierung zum Ausdruck gebracht. Damit ist die Vorstellung gemeint, dass die Welt durch den Handel weniger miteinander vernetzt ist, was sich potenziell negativ auf die Finanzmärkte, das BIP-Wachstum und die Unternehmensgewinne auswirken könnte.
Die gute Nachricht zuerst: Im Jahr 2023 hat keine rasante Deglobalisierung stattgefunden. Die wirtschaftliche Integration und ihre positiven Auswirkungen auf die Gewinnmargen der Unternehmen sind nach wie vor intakt. Und dies trotz zwei gravierender Ereignisse: Die von den USA verhängten Zölle auf zahlreiche chinesische Importe und die nie da gewesenen Sanktionen gegen Russland wegen der Invasion in der Ukraine, die einen noch stärkeren Handelsschock auslösten.
Unsere Analyse der Handelsdaten zeigt, dass sich die Lieferketten als flexibel und widerstandsfähig erweisen, indem die Produktion in andere Länder verlagert wird. Die Lieferketten erfahren eine weitgehende Diversifizierung, was auf eine schrittweise Abkehr von der übermäßigen Konzentration auf China hindeutet. Dies ist positiv für das Wirtschaftswachstum in einer Vielzahl von Ländern und verheißt Gutes für die Widerstandsfähigkeit des globalen Handelssystems gegenüber künftigen wirtschaftlichen Schocks.
Nun die weniger gute Nachricht: Bei einigen wichtigen Importen, insbesondere bei Arzneimitteln („Life Sciences“ und Biotechnologie) und hochentwickelten Waffenkomponenten, sind die USA nach wie vor stark von China abhängig. Dies bereitet beiden großen Parteien in den USA große Sorgen, da es ein Risiko für die nationale Sicherheit darstellt.
Ende November berief sich Präsident Joe Biden auf den Defense Production Act, der während des Zweiten Weltkriegs zur Umwandlung von Fabriken für militärische Zwecke vereinbart wurde. Somit sollte das „Re-shoring“ kritischer Produktionen gefördert werden. das bedeutet eine Rückkehr von Unternehmensaktivitäten in die USA, die zuvor ins Ausland verlegt worden waren. Ein Teil dieser Maßnahme war auf den Mangel an pharmazeutischen Produkten in den USA zurückzuführen.
Im Folgenden wird analysiert, welche Muster sich im internationalen Handel abzeichnen, welche Länder davon profitieren und wie die Aussichten für kritische Güter sind. Außerdem wird untersucht, was der Re-Shoring-Trend für Anleger bedeuten könnte, wenn er sich in den kommenden Jahren fortsetzt.
Da China ab 2018 im Zentrum der Handelsspannungen stand, würde man erwarten, dass Chinas Anteil am Welthandel zurückgehen würde, wenn die Welt deglobalisiert. Dennoch ist Chinas Anteil an den weltweiten Exporten gestiegen. Ebenfalls gestiegen ist das Verhältnis des globalen Warenhandels im Vergleich zur globalen Industrieproduktion.1
Unter der Oberfläche gibt es jedoch länderspezifische Unterschiede. China hat seine Dominanz bei den Exporten seit den 2000er Jahren behauptet, als es nach seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation seinen Anteil an den US-Importen um 10 Prozentpunkte steigern konnte. Während des Handelskriegs zwischen den USA und China, der 2018 begann, ging der Anteil Chinas an den US-Importen dann deutlich zurück.
Nachdem die USA im Handelskrieg rund 66 % der Einfuhren aus China mit Zöllen belegt haben, hat sich die Herkunft der Importe deutlich verschoben. Während der Anteil Chinas an den US-Importen von 2016 bis 2023 zurückging, wurden diese Rückgänge durch Zuwächse der Mitgliedsstaaten des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) sowie Indiens und lateinamerikanischer Länder ausgeglichen. (Die Länder Mittel- und Osteuropas, des Nahen Ostens und Afrikas [CEEMEA] verzeichneten in diesem Zeitraum keine Zuwächse bei den Handelsanteilen der USA.)
Die US-Importe von zollpflichtigen Waren aus China gingen um rund 70 Mrd. US-Dollar zurück. Unsere Analyse zeigt, dass Vietnam dabei den größten prozentualen Zuwachs bei den Exporten von zollpflichtigen Waren verzeichnete: Ein Anstieg von 170 %. Aber Mexiko verzeichnete mit mehr als 153 Mrd. US-Dollar die größten Zuwächse in US-Dollar. Die bedeutendsten dieser Exporte: Halbleiter und verwandte elektronische Komponenten, Autoteile und andere Güter, die von den gegen China verhängten Zöllen in Höhe von 25 % betroffen sind, wie beispielsweise Öl aus bituminösen Mineralien.
Der Anhang enthält eine Tabelle, in der die im Handelskonflikt zwischen den USA und China mit Zöllen belegten Waren aufgelistet sind. Außerdem ist im Anhang die Wertveränderungen der US-Importe dieser Waren zwischen 2016 und 2023 für die fünf Länder mit den größten Anteilsveränderungen (China, Mexiko, Vietnam, Indien und Thailand) aufgeführt.
Auch ohne den Handelskrieg wäre es wahrscheinlich zu einer gewissen Abwanderung des Handels aus China gekommen. China hat die Wertschöpfungskette erklommen und die Produktion mit geringerer Wertschöpfung an kostengünstigere Standorte verlagert. Beispielsweise stieg die Wertschöpfung Chinas bei Maschinen- und Ausrüstungsexporten in dem genannten Zeitraum deutlich an, während die Wertschöpfung bei den Bekleidungsexporten schrumpfte.2 Da die Arbeitskosten in China gestiegen sind, macht es immer weniger Sinn, weniger komplexe und arbeitsintensive Produktionen dort zu belassen.
Dies wird relevant, wenn man die heutige Abhängigkeit der USA von hochentwickelten chinesischen Exporten berücksichtigt, darunter Biotechnologie und fortschrittliche Waffenkomponenten. Je mehr China durch verschiedene Subventionen, Anreize und die Struktur seiner Wirtschaft einen Schutzwall um seine hochentwickelten Exporte errichtet,3 desto schwieriger wird es für die USA, das Risiko gegenüber China in kritischen Bereichen der nationalen Sicherheit zu reduzieren.
Umschlag, Wertschöpfung und Importsubstitution
Generell können wir nicht genau sagen, inwieweit der Handelskrieg, die Verlagerung von Billigproduktion aus China ins Ausland oder der Krieg in der Ukraine für die Exportgewinne anderer Länder in die Vereinigten Staaten verantwortlich waren. Wir haben jedoch Erkenntnisse gewonnen, indem wir Handelsdaten auf granularer Ebene segmentiert haben.4
Darüber hinaus stützt unsere Analyse die Vermutung, dass die Umlenkung der Handelsströme (Warenumschlag über ein Drittland) in Vietnam stärker ausgeprägt war als in Mexiko. Die verstärkte inländische Produktion dürfte Mexikos Exportzuwächse wesentlich vorangetrieben haben.5 Dieses Merkmal des Wachstums der mexikanischen Exporte in die USA spricht für die Annahme, dass die Importbasis der USA, gestützt durch die Nähe Mexikos und seine Anbindung an das amerikanische Schienennetz, widerstandsfähiger wird.
Unternehmen versuchen zunehmend ihre Lieferketten durch Re-Shoring (oder „Near-Shoring“) der Produktion zu stärken, wie es eine umfangreiche Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu diesem Thema beschreibt. Die Erwähnung der Begriffe Re-Shoring, On-Shoring und Near-Shoring in Präsentationen zu Unternehmensergebnissen hat sich seit Beginn des Handelskriegs zwischen den USA und China „fast verzehnfacht“.6
Wichtig ist auch, dass sich die mexikanische Regierung für eine höhere Wertschöpfung einsetzt. Die „Ursprungsregeln“ des US-Mexiko-Kanada-Abkommens (USMCA) von 2018 erfordern nordamerikanische Inputs in die Produktion, insbesondere im Automobilsektor.7
Die Verlagerung von Aktivitäten nach Mexiko dürfte jedoch kaum ein Segen für die Beschäftigung sein: Der Beschäftigungsanteil im verarbeitenden Gewerbe in Mexiko ist in den letzten Jahren tatsächlich gesunken,8 wahrscheinlich aufgrund der industriellen Automatisierung. Dies könnte eine allgemeinere, größere Verschiebung widerspiegeln: Da die industrielle Automatisierung weltweit zunimmt, könnte das globale Handelssystem in eine Situation geraten, in der Unternehmen nicht mehr in erster Linie nach den niedrigsten Arbeitskosten optimieren, sondern nach anderen Kostenfaktoren wie Transportkosten.9 In dieser Hinsicht sticht Mexiko hervor, wo die Transportkosten in die USA deutlich niedriger als in China sind.
Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat auch zu einem deutlichen Rückgang der chinesischen Halbleiterexporte (und der entsprechenden Anlagen) in die USA geführt. Seit 2016 sind sie um rund 54 % gesunken. Die chinesischen Halbleiterexporte konnten nicht ohne Weiteres durch andere Chiphersteller ersetzt werden, insbesondere weil China sich auf „ältere“ (weniger fortgeschrittene) Chips mit geringeren Gewinnmargen spezialisiert hat.
Dieser Mangel an Substitution spielte wahrscheinlich eine wichtige Rolle beim Inflationsschock, der die US-Wirtschaft im Jahr 2021 traf10—der starke Mangel an Chips für Autos und andere Konsumgüter war der Ausgangspunkt des Inflationsschocks im Jahr 2021.11
Dies zeigt die Verwundbarkeit des globalen Handelssystems und warum eine so starke Abhängigkeit von China bei wichtigen Importen – dem Thema, dem wir uns als Nächstes zuwenden – nicht nur ein nationales Sicherheitsrisiko, sondern auch ein wirtschaftliches Risiko darstellen kann. Es zeigt auch, warum die Rückverlagerung von Lieferketten auf lange Sicht zu einer größeren Widerstandsfähigkeit des Handelssystems führen und so zum Schutz vor künftigen Schocks beitragen kann.
Die Abhängigkeit von China bei einer Reihe von Schlüsselprodukten, darunter „Life Sciences“, Biotechnologie und hochentwickelte Waffenkomponenten, wird von beiden großen Parteien in den USA als erhebliches Risiko für die nationale Sicherheit angesehen.
Wie haben sich die US-Importe dieser strategischen Güter verändert, die vom U.S. Census Bureau als „Advanced Technology Products“ (ATPs) definiert werden? ATPs umfassen 10 große Kategorien (jährlich aktualisiert): Biotechnologie, “Life Sciences“, Optoelektronik, Information und Kommunikation, Elektronik, flexible Fertigung, fortschrittliche Materialien, Luft- und Raumfahrt, Waffen und Nukleartechnologie.12 Überraschenderweise waren fortschrittliche Technologieprodukte weniger von den US-Zöllen betroffen als andere Warenkategorien.
Ein Teil der fortschrittlichen Technologieprodukte wurde im Handelskrieg mit hohen Zöllen belegt. Bei diesen Produkten handelte es sich größtenteils um Elektronik, flexible Fertigung, fortschrittliche Materialien, Luft- und Raumfahrt- sowie Nukleartechnik. Aber sie stellten nicht die Mehrheit der ATPs dar, die die Vereinigten Staaten aus China importieren: Nur etwa 45 % der US-Importe von fortschrittlichen Technologieprodukten aus China wurden im Handelskrieg mit Zöllen belegt.
Tatsächlich sind einige fortschrittliche Technologieprodukte von strategischer Bedeutung wie Biotechnologie, „Life Sciences“ und Waffen weniger von Zöllen betroffen. Der Anteil Chinas an diesen Exporten in die USA ist nicht rückläufig, sondern nimmt sogar zu. Innerhalb dieser Produktkategorie ist bemerkenswert, dass China dort, wo die USA keine Zölle eingeführt haben (zollfreie fortschrittliche Technologieprodukte), immer noch zulegen kann: Diese Exporte sind im Vergleich zu 2016 um rund 20 Mrd. US-Dollar gestiegen (Siehe Anhang für eine Aufschlüsselung der Kategorien fortschrittlicher Technologieprodukte, die hinter diesem Anstieg stehen).
Die US-Importe lebensrettender Arzneimittel aus China sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Für viele US-Gesetzgeber stellt dies ein nationales Sicherheitsrisiko dar. Das Land hatte jedoch aufgrund begrenzter eigener Produktionskapazitäten kaum eine andere Wahl, als bei Arzneimitteln zunehmend auf China zu setzen.13
Die Biden-Administration ist sich dieser kritischen Situation bewusst und hat sich im November 2023 auf den Defense Production Act berufen. Dieses Gesetz ermöglicht schnellere Investitionen in die heimische Herstellung von wichtigen Medikamenten, medizinische und andere essentielle Produkte, die der Präsident als wesentlich für den nationalen Schutz der USA erachtet.14
Entgegen des Trends, dass andere Länder als China Exportanteile bei zollpflichtigen Waren gewinnen, war ihr Anstieg bei den Ausfuhren zollfreier fortschrittlicher Technologieprodukte in die USA weniger beeindruckend.
Es wird wichtig sein, die Entwicklung der Exporte von zollfreien fortschrittlichen Technologieprodukten weiter zu beobachten. Eine Zunahme in dieser Kategorie in den kommenden Quartalen und Jahren könnte auf eine Verschiebung in der Fabrikationslieferketten hindeuten, insbesondere in Erwartung einer weiteren Anspannung der Handelsbeziehungen zwischen den USA und China.15 Wir werden diese Entscheidungen multinationaler Wirtschaftsführer beobachten, die weiterhin äußerst unsicher über die Absichten der politischen Entscheidungsträger in Bezug auf strategisch wichtige, nicht zolltarifliche ATP-Exporte sind.
Wie bereits erwähnt, haben Zölle bei der Verlagerung von Handelsströmen weg von China eine wichtige Rolle gespielt. Wenn es jedoch um strategisch wichtige Technologieprodukte aus China geht, die nicht mit Zöllen belegt sind, bleiben die chinesischen Exporte in die USA robust. In Relation zum chinesischen BIP sind diese Exporte von zollfreien fortschrittlichen Technologieprodukten in die USA nicht nur stabil, sondern liegen sogar über dem Niveau von 2018, obwohl die US-Importe aus China insgesamt stark zurückgegangen sind.16
Wohin könnte sich der strategische Handel von hier aus entwickeln?
Der Handelskrieg zwischen den USA und China hatte große Auswirkungen und führte zu einem Rückgang der chinesischen Exporte in die Vereinigten Staaten. Je genauer wir uns jedoch mit den Einzelheiten des Handelsrückgangs befassen, desto differenzierter sehen wir ein Bild – eines, bei dem die Vereinigten Staaten in bestimmten strategisch wichtigen Handelskategorien immer noch stark von China abhängig sind.
Wir gehen davon aus, dass der US-Gesetzgeber versuchen wird, das Risiko in diesen kritischen Sektoren durch eine Abkopplung vom Handel mit China weiter zu reduzieren. Die genaue Form der Risikominderungsbemühungen wird in hohem Maße vom Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen 2024 abhängen.
Die Demokratische Partei wird wahrscheinlich weiterhin auf eine Politik drängen, die darauf abzielt, die Produktionskosten in den USA und für ihre nahen Handelspartner (wie Mexiko) zu senken und gleichzeitig Steuergelder für eine verstärkte Verlagerung der Produktion in bestimmten Sektoren bereitzustellen (bisherige Beispiele hierfür sind der CHIPS Act von 2022 und der Inflation Reduction Act von 2023).17 Die Republikanische Partei scheint sich in erster Linie darauf zu konzentrieren, die Kosten für im Ausland hergestellte Produkte zu erhöhen (z. B. durch den Einsatz von Zöllen).18
Zwei abschließende Fallstudien veranschaulichen den aktuellen Stand der Globalisierung: Russland ist ein dramatisches Beispiel für Handelsflexibilität und zeigt, wie belastbare Lieferketten die Importe eines Landes trotz beispielloser globaler Sanktionen aufrechterhalten können. Andererseits zeigt das Fehlen eines steigenden US-Exportanteils in Südamerika, wie Schlüsselfaktoren (einschließlich Infrastruktur und gesellschaftliche Entwicklung) den Handel behindern können, trotz des Potenzials, das ein flexibles globales Handelssystem bietet.
Russland: Ein dramatisches Beispiel für Handelsflexibilität
Der Handel mit Russland seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine ist ein dramatisches, aktuelles Beispiel für Handelsflexibilität. Die globalen Fabrikatioslieferketten haben in den letzten 18 Monaten eine solche Widerstandsfähigkeit bewiesen, dass sie im Wesentlichen die russische Wirtschaft gerettet haben. Handelsflexibilität ist der Hauptgrund dafür, dass der IWF seine Prognose für das russische BIP seit April 2022 drastisch nach oben korrigiert hat. Damals prognostizierte der IWF einen Rückgang um 10,6 % bis 2023 (im Vergleich zum Niveau von 2021). Jetzt sieht der IWF die russische Wirtschaft um 0,13 % wachsen.
Südamerika: Viel Potenzial, wenig Fortschritt
Wir hatten erwartet, dass die Diversifizierung des Handels für die Länder Südamerikas zu einem starken Anstieg des Anteils der Exporte in die USA führen würde. Diese Länder haben eine günstige Nähe zu den Vereinigten Staaten und historisch enge geopolitische Beziehungen zu ihnen. Stattdessen gab es für Brasilien, Kolumbien, Argentinien, Chile und Peru nahezu keine Exportverlagerung.
Die Gründe für die schwache Entwicklung in der Region sind vielfältig.
Geringe Fertigungskomplexität: Von den gesamten Importen fortschrittlicher Technologieprodukte in die USA im Jahr 2023 geht der Anteil Südamerikas gegen Null (0,31 %). Die wichtigsten Exporte der größten Volkswirtschaften sind Primärgüter: Eisenerz in Brasilien, Kupfererz in Peru und Chile und Rohöl (und Kaffee) in Kolumbien.
Schlechte Qualität und begrenzte Handelsinfrastruktur: In einer hypothetischen Welt, in der die Infrastrukturdefizite der südamerikanischen Länder im Vergleich zu den fortgeschrittenen Volkswirtschaften halbiert würden, wären ihre Exporte um 30 % höher.19 Die Transportkosten in die Vereinigten Staaten sind hoch (im Gegensatz zu Mexiko verfügt der Kontinent nicht über eine direkte Anbindung an das US-amerikanische Schienensystem). Das ehrgeizige Projekt der Bi-Oceanic Railway, die die Pazifikküste Perus mit der Atlantikküste Brasiliens verbinden soll, würde die Transportkosten vor allem nach Europa und Asien senken, stößt aber immer wieder auf Rückschläge (u. a. aus Umweltgründen: Es würde den Amazonas-Regenwald durchqueren).20
Die relativ geringe Entwicklung des Humankapitals (der Bestand an Wissen, Fähigkeiten, Bildung, Gesundheit und anderen Eigenschaften, die zur Fähigkeit der Arbeitskräfte beitragen, wirtschaftlichen Wert zu schaffen) in Verbindung mit relativ geringen Englischkenntnissen21 schränkt den Warenhandel der Region ein und behindert wahrscheinlich auch den Export von Dienstleistungen, obwohl die Zeitzone der Region für den Verkauf von Ferndienstleistungen an nordamerikanische Unternehmen gut geeignet ist.22
Die Globalisierung bleibt trotz mehrerer großer Schocks in den letzten Jahren intakt. Ihr Fortbestand ist ein Beweis für die Flexibilität globaler Fabrikationslieferketten. Multinationale Konzerne haben gezeigt, dass sie sich schnell an neue Richtlinien anpassen und auf erhöhte geopolitische Risiken reagieren können. Diese Flexibilität hat dazu beigetragen, dass die Gewinnmargen der Unternehmen das historische Wachstum beibehalten konnten, das die Globalisierung in den letzten Jahrzehnten ermöglicht hat.
Dennoch sind die Vereinigten Staaten in mehreren Bereichen von zentraler strategischer Bedeutung immer noch stark auf Importe aus China angewiesen. Wir erwarten, dass die politischen Entscheidungsträger weiterhin eine Politik verfolgen werden, die darauf abzielt, das Risiko gegenüber China in diesen für die nationale Sicherheit wichtigen Handelsbereichen zu verringern. Diese neue Herausforderung stellt eine Chance für eine Vielzahl von Ländern im Schwellenmarktkomplex dar. Die Handelsinfrastruktur, die Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung des Humankapitals werden weitgehend darüber entscheiden, welche Länder von diesen Trends profitieren.
Darüber hinaus unterstützt unsere Arbeit eine positive Sicht auf den Industriesektor an den Aktienmärkten weltweit. Michael Cembalest, Chairman of Market and Investment Strategy bei J.P. Morgan Asset & Wealth Management, äußerte sich kürzlich in seinem Ausblick auf das Jahr 2024 positiv über den Industriesektor und verwies auf nachhaltige langfristige Wachstumstreiber und günstige Bewertungen (insbesondere im Vergleich zu Technologieaktien).
1 Obwohl dies außerhalb des Rahmens dieses Artikels liegt, stellen wir auch fest, dass die weltweite Zunahme der Fernarbeit den globalen Handel mit Dienstleistungen angekurbelt hat.Dies ist ein Trend, der sich wahrscheinlich auch weiterhin fortsetzen wird. Tobias Sytsma, „The Globalization of Remote Work: Will Digital Offshoring Make Waves in the U.S. Labor Market?“ RAND Corporation, 2022.
2 Laut der OECD-Datenbank Trade In Value Added (TIVA) sank der Wertschöpfungsanteil an Chinas Bekleidungsexporten von 17,2 % im Jahr 2000 auf 9,4 % im Jahr 2020, während sich der Wertschöpfungsanteil an Chinas Maschinenexporten in diesem Zeitraum mehr als verdoppelte von 2,5 % auf 5,5 %. „TIVA-Hauptindikatoren“, oecd.org, 2023.
3 Obwohl es den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, kann man sagen, dass dieser „Schutzwall“ die Bodenschätze, die Qualität des Bildungssystems und die Integration des verarbeitenden Gewerbes einschließt. Dies sind nur einige der vielen Faktoren, die zu Chinas historischem Aufstieg zur Vorherrschaft in der verarbeitenden Industrie beigetragen haben. Für die jüngste Dominanz in der Produktion von Technologien: Alan Weissberger, „ASPIs Critical Technology Tracker findet China in 37 von 44 bewerteten Technologien vorne“, Technology Blog, IEEE Communications Society, Institute of Electrical and Electronics Engineers, 3. März 2023.
4 Wir verwenden innovative Datenstrukturen, die auf dem Kodierungssystem des Harmonisierten Zollsystems (Harmonized Tariff Schedule – HTS) basieren, um die Komponenten der US-Warenimporte zu analysieren. Wir betrachten die HTS-Handelskategorien auf der granularsten Ebene, den zehnstelligen HTS-Codes.
5 Erhebliche Verzögerungen bei der Datenveröffentlichung hindern uns heute daran, diese Frage endgültig zu beantworten. Betrachtet man jedoch die Entwicklung der zollpflichtigen Exporte (in Relation zum BIP) vor und nach 2018 (Beginn des Handelskriegs), so zeigt sich ein starker Anstieg der zollpflichtigen Exporte Vietnams in die USA, während dies für Mexiko nicht der Fall ist. Dies stützt die Annahme, dass die Umleitung des Handels in Vietnam stärker ausgeprägt ist, was darauf zurückzuführen ist, dass Waren von China nach Vietnam exportiert und dann in die Vereinigten Staaten reexportiert werden, um Zölle zu umgehen.
6 Kristalina Georgieva, „Confronting Fragmentation Where It Matters Most: Trade, Debt, and Climate Action“, IWF-Blog, 16. Januar 2023.
7 Das USMCA erhöhte die Anforderung an den regionalen Wertanteil von 62,5 % im NAFTA-Abkommen auf 75 % und verlangt, dass mindestens 70 % der Stahl- und Aluminiumeinkäufe der Hersteller aus Nordamerika stammen. Natürlich bauen chinesische Hersteller auch die Exportinfrastruktur in Mexiko aus, um näher an den US-Verbrauchermarkt heranzukommen und um, laut The Economist, Zölle zu umgehen. „Warum chinesische Unternehmen nach Mexiko strömen: The country offers a back door to the United States“, The Economist, 23. November 2023..
8 Nach Angaben des Instituto Nacional de Estadística y Geografía von 8,9 % im Jahr 2019 auf 8,25 % im Jahr 2023.
9 Wir weisen auch darauf hin, dass die Arbeitskosten in Mexiko nicht nachweislich niedriger sind als in China. Der (bereinigte) Big-Mac-Index des Economist , der üblicherweise zum Vergleich der Arbeitskosten herangezogen wird, zeigt, dass Mexiko 17,1 % und China 15,6 % billiger sind als die USA.
10 Chad P. Bown: „Entkoppeln sich die USA und China nach vier Jahren Handelskrieg?“ Realtime Economics-Blog, Peterson Institute for International Economics, 20. Oktober 2022.
11 Aus unserer Sicht markierte der April 2021 den Beginn des Inflationsschocks. In diesem Monat stieg die Inflationsrate für Kraftfahrzeuge in den VPI-Daten auf Jahresbasis um mehr als 60 %.
12 International Trade Reference Codes, U.S. Census Bureau.
13 Eduardo Jaramillo, „U.S. drug shortages highlight dependence on China, gray supply chains“, The China Project, 7. Juni 2023.
14 „Fact Sheet: President Biden Announces New Actions to Strengthen America’s Supply Chains, Lower Costs for Families, and Secure Key Sectors“, Weißes Haus, 27. November 2023.
15 Justin R. Pierce und David Yu, „Assessing the Extent of Trade Fragmentation“, FEDS Notes, Board of Governors des Federal Reserve System, 3. November 2023.
16 Wir stellen auch eine Diskrepanz zwischen den Daten zum US-Import aus China und den Daten zum China-Export in die USA fest. Diese Diskrepanz entstand während der Pandemie und besteht seitdem fort. Die Vereinigten Staaten melden mittlerweile weitaus weniger Importe aus China als China als Exporte in die Vereinigten Staaten meldet. Es ist nicht klar, was man von dieser Diskrepanz halten soll, aber sie könnte bedeuten, dass der Rückgang der Gesamtimporte aus China in die Vereinigten Staaten überbewertet wird.
17 Für unsere Analyse dieser Gesetze und ihrer wahrscheinlichen Auswirkungen und Investitionsfolgen siehe Joe Seydl, Jessica Matthews und Ian Schaeffer, „The opportunity in renewed U.S. industrial policy“, J.P. Morgan Private Bank, 1. Juni 2023.
18 Wir weisen darauf hin, dass es sich beim CHIPS Act von 2022 um eine parteiübergreifende Gesetzgebung handelte, sodass diese Aussage nicht als Schwarz oder Weiß interpretiert werden sollte. Wir tun es trotzdem, weil es in den Wahlzyklus passt und weil der ehemalige US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, im Falle seiner Wiederwahl 2024 einen Zoll von 10 % auf alle US-Importe zu erheben.
19 Unter Handelsinfrastruktur versteht man sowohl die physische Infrastruktur als auch die Zollinfrastruktur. „Trade Integration and Implications of Global Fragmentation for Latin America and the Caribbean“, Regional Economic Outlook Latin America and the Caribbean, Internationaler Währungsfonds, Oktober 2023.
20 „Controversial Amazon route of Transcontinental Railway Brazil-Peru“, Global Atlas of Environmental Justice, ejatlas.org, 11. Juni 2023.
21 Insbesondere im Hinblick auf das Pro-Kopf-BIP (ein Indikator für die Kosteneffizienz von Arbeitskräften aus der Perspektive von Unternehmen, die Remote-Arbeit auslagern möchten) fallen die südamerikanischen Länder durch niedrige Englischkenntnisse auf, im Vergleich etwa zu Indien und den Philippinen. English Proficiency Index, Education First, 2023.
22 Der Löwenanteil des wachsenden Exports von Remote-Arbeit nach Nordamerika (und Europa) entfällt auf Arbeitskräfte aus Osteuropa, Südasien und den Philippinen. Fabian Braesemann, Fabian Stephany, Ole Teutloff, et al., „Die globale Polarisierung der Fernarbeit“, PLoS One, 20. Oktober 2022.
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